Kommunikationsraum 'Stadt': Gruppen – Medien – Öffentlichkeit/en

Kommunikationsraum 'Stadt': Gruppen – Medien – Öffentlichkeit/en

Organisatoren
Landespromotionskolleg der Universität Heidelberg „Das Konzert der Medien in der Vormoderne: Gruppenbildung und Performanz“
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.07.2007 - 21.07.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Marion Phillip, Univ. Heidelberg

Einführung
Das Landespromotionskolleg der Universität Heidelberg „Das Konzert der Medien in der Vormoderne: Gruppenbildung und Performanz“ veranstaltete am 20. und 21. Juli 2007 unter der Leitung von Christian Witschel (Alte Geschichte) einen Workshop zum Thema „Kommunikationsraum ‚Stadt’: Gruppen – Medien – Öffentlichkeit/en“, zu dem fünf auswärtige Referenten eingeladen wurden.

Seit dem cultural turn und seinem Konzept unterschiedlicher, teils konkurrierender, kulturell vermittelter Öffentlichkeiten führt die Beschäftigung mit Medien in den Kulturwissenschaften unweigerlich zur Frage nach den Rezipienten, ihrer Ordnung im ‚öffentlichen Raum’ und den Eigenschaften von ‚Öffentlichkeit/en’. In ihren Forschungsarbeiten erleben die Stipendiaten des Landespromotionskollegs, dass dies für historische Medien besonders schwer zu rekonstruieren ist. Daraus entstand der Wunsch, mit Experten verschiedener historischer Disziplinen über „Gruppen – Medien – Öffentlichkeit/en“ zu diskutieren.

Referate
Nach der Begrüßung und einführenden Worten durch den Leiter der Veranstaltung eröffneten die Stipendiaten den Workshop. Caroline Rödel; Daniela Wolf; Thorsten Huthwelker; Marion Philipp; Adrian Kuhl und Sascha Winter zeigten an Beispielen aus ihren Dissertationsprojekten, welche Gruppen, Medien und Öffentlichkeit/en zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem frühen 19. Jh. im Kommunikationsraum ‚Stadt’ zusammenwirken konnten. Auf diesen Einblick in die Thematik des Workshops folgten die Vorträge der Gastreferenten.

Den Anfang machte die Klassische Archäologin ANNETTE HAUG (Leipzig) mit ihrem Vortrag zu „Urbanität und mediale Kultur am Übergang zur Spätantike“. Haug unterschied darin zwischen Architektur, Bild und Schrift als Medien visueller Präsenz und Repräsentation Einzelner und verdeutlichte an der urbanistischen Entwicklung Aquileias zwischen dem 1. Jh. v. Chr. und dem 4. Jh., dass ein Stadtraum immer (auch) als Ergebnis und Generator sozialer Kommunikation zu begreifen ist. Ihre Ausführungen zur Bildnisrepräsentation im öffentlichen Raum von Forum, Nekropole und (später) christlicher basilica verwiesen auf das Spannungs¬verhältnis zwischen der Demonstration städtisch-ziviler Identität und individuell-elitärer Selbstdarstellung, wobei sich letztere seit dem späten 2. Jh. zunehmend auf den Bereich der privaten domus konzentrierte und als Folge verschärfter sozialer Kompetition an ranggleiche Konkurrenten gerichtet war.

Einen anderen Ansatz verfolgte die Mediävistin STEFANIE RÜTHER (Münster), indem sie soziale Praktiken im öffentlichen Raum auf ihren Nutzen für die stadtbürgerliche Gemeinschaft befragte. In ihrem Vortrag „The place to be – Macht und Öffentlichkeit in der spätmittelalterlichen Stadt“ belegte Rüther an Begebenheiten aus Konstanz, Regensburg, Lübeck und Augsburg, dass ‚situative Öffentlichkeiten’ gezielt kreiert wurden, um die Integration der Einwohnerschaft zu fördern, Repräsentationsbedürfnisse zu befriedigen und Konflikte auszutragen. Eine allgemeine, universalistische Öffentlichkeit sei für den stark verdichteten Kommunikationsraum einer mittelalterlichen Stadt nicht festzustellen. Zur Charakterisierung städtischer Öffentlichkeit/en im Mittelalter favorisierte Rüther deshalb – bezugnehmend auf das Forschungskonzept der ‚konsensgestützten Herrschaft’ – den Begriff ‚konsensgestützte Öffentlichkeit’.

Die Historikerin SUSANNE RAU (Dresden) behandelte als dritte und letzte Referentin des Tages in idealtypischer Weise „Öffentlichkeiten in europäischen Städten der Frühen Neuzeit: Orte – Gruppen – Medien“. Dabei ging es ihr zum einen um eine stärkere Differenzierung der Begrifflichkeiten, zum anderen betonte sie die Ambivalenz der frühneuzeitlichen Gesellschaft und die Vielschichtigkeit ihrer Kommunikationsstrukturen.

Der zweite Tag des Workshops begann mit dem Vortrag der Kunsthistorikerin CORNELIA JÖCHNER (Florenz) über „Resonanzräume von König und Stadt: klassizistische Platzanlagen in Neapel und Turin“. Unter Berufung auf Georg Simmel verband Jöchner architektonischen Raum und sozialen Raum. Davon ausgehend widmete sie sich gestalterischen Aspekten und stellte die Perspektive des Betrachters, der die Platzanlage aktiv durch Bewegung im Raum erschließt, ins Zentrum ihrer Überlegungen. An der raumtypologischen Sonderform des entfestigten Torplatzes demonstrierte sie dann, wie der durch die (zuvor sichtbare) Grenze geprägte Raum eine Umdeutung erfuhr und ‚Drinnen’ und ‚Draußen’ durch visuelle Bezüge und Sichtachsen miteinander verschränkt wurden. An der Piazza del Popolo in Rom, der Piazza Vittorio Veneto in Turin und der Piazza del Plebiscito in Neapel veranschaulichte sie, dass dies auf verschiedene Arten geschehen konnte. So verweise das römische Beispiel auf die Stadt selbst durch Bezugnahme auf deren Hauptmonument S. Pietro. Die Turiner und die Neapolitaner Platzanlage kommunizierten dagegen mit dem Territorium, was durch die physiokratischen Debatten jener Zeit inspiriert sein mag, hier aber – wie Inschriften an Gebäuden belegen – mit einem dynastischen Repräsentationsbedürfnis einherging.

Zuletzt referierte der Musikwissenschaftler ANDREAS WACZKAT (Lüneburg) zu „Fast alle Tage sind hier Concerte. Städtische Abendmusiken und öffentliches Konzertwesen als Form und Forum der Kommunikation“. Darin führte Waczkat an den Lübecker Abendmusiken des 17. Jh.s und den Magdeburger öffentlichen Konzerten des 18. Jh.s aus, dass die soziale Interaktion von Adel und Bürgertum bei diesen Anlässen im Vordergrund stand und die musikalische Darbietung zweitrangig war. Hierarchien und (höfisches) Zeremoniell seien ausgeklammert gewesen, vielmehr habe die Musik ein zahlungskräftiges Publikum zusammengeführt, das an einem exklusiven Ort der Stadt eine Teilöffentlichkeit konstituierte.

Ergebnisse
Die intensiven Diskussionen nach jedem Vortrag und die Abschlussdiskussion, die maßgeblich durch die das Kolleg betreuenden Heidelberger Professoren Tonio Hölscher, Silke Leopold, Thomas Maissen und Lieselotte Saurma gestaltet wurden, zeigten in aller Deutlichkeit, wie problematisch die Annäherung an historische ‚Öffentlichkeit/en’ weiterhin in den Geschichtswissenschaften ist. Der kategorische Ausschluss anthropologischer Methoden wird auch künftig eine befriedigende Lösung verhindern und ist durch überlieferte ‚Selbstwahrnehmungsbeschreibungen’ kaum zu kompensieren. Besonders heikel bleibt die Erforschung des fragmentierten ‚öffentlichen Raums’, in dem verschiedene (Teil)Öffentlichkeiten nebeneinander existieren, während sich ‚distinkte Öffentlichkeiten’ bewusst aus ihm zurückziehen, aber dennoch öffentlichkeitswirksam bleiben.

Angesichts dieser Schwierigkeiten ist ein interdisziplinär geführter Dialog unerlässlich. Dank der Beiträge und Diskussionen gelang auf dem Workshop, das Problembewusstsein für den Kommunikationsraum ‚Stadt’ über unterschiedliche Fachrichtungen, Ansätze, Methoden, Zeiten und Räume hinweg zu schärfen und die Teilnehmer für die Problematik zu sensibilisieren. Die Stipendiaten haben dadurch zahlreiche Anregungen erhalten, wie sie den Begriff der ‚Öffentlichkeit/en’ für ihre Forschungen fruchtbar machen können.

Programmübersicht:

Samstag, 21. 7. 2007
11.30 „Urbanität und mediale Kultur am Übergang zur Spätantike“
(Annette Haug/Leipzig)
15.00 „The place to be – Macht und Öffentlichkeit in der spätmittelalterlichen Stadt“ (Stefanie Rüther/Münster)
17.00 „Öffentlichkeiten in europäischen Städten der Frühen Neuzeit: Orte – Gruppen – Medien“ (Susanne Rau/Dresden)

Sonntag, 22. 7. 2007
9.00 s.t. „Resonanzräume von König und Stadt: klassizistische Platzanlagen in Neapel und Turin“ (Cornelia Jöchner/Berlin – Florenz)
11.00 „»Fast alle Tage sind hier Concerte«. Städtische Abendmusiken und
öffentliches Konzertwesen als Form und Forum der Kommunikation“ (Andreas Waczkat/Lüneburg – Celle)
12.30 Abschlussdiskussion